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Exzesse live vom Rock-Olymp
Zurück in die 70er? Gerade einmal vier Stücke von den 14, die Deep Purple am Dienstag in der ausverkauften Rostocker Stadthalle spielte, stammten nicht aus diesem Jahrzehnt. Doch wer auf dem Rock-Olymp lebt, für den spielt Zeit keine Rolle mehr. Die britische Megaband, die in der Hansestadt das Auftaktkonzert ihrer Deutschland-Tournee gab, tourt nicht, um ein neues Album zu verkaufen; die Band tourt, weil die Bühne ihr Zuhause ist, weil sie mit "Made in Japan" einst den Prototyp des Heavy-Rock-Live-Albums einspielte und weil sie "Smoke on the Water" scheinbar immer noch nicht oft genug live gespielt hat. Gerade mal 19 verschiedene Live-Versionen ihres bekanntesten Songs sind auf (legalen) Mitschnitten zu haben. Und er ist unvermeidlich wie das Amen in der Kirche: Weil der Song von dem handelt, was die Band ausmacht, so eine Art Ursprungs-Mythologie also: Unterwegs, um im mobilen Studio der Rolling Stones eine Platte aufzunehmen, treffen die Musiker am Genfer See ein, wo gerade die Spielbank in Flammen steht. Die Brandstifter freilich waren andere: Deep Purples Heavy Metal war nie böse wie der von Black Sabbath, ihr Heavy Metal speiste seine Energie stets aus sich selbst, ohne Metaphysik. Deep Purple, das sind die ehrlichen Arbeiter des Rock, Perfektionisten zumal, die sich nie damit zufrieden geben könnten, letztlich nur einen Song zu spielen wie etwa AC/DC. Sie machen Musik, trotz aller Widrigkeiten einschließlich Großbrand und kalten Hotelzimmern. Auch der Rauch über dem Wasser, dieser gigantische Eindruck, ist nur dazu da, wieder zu Musik zu werden. Und er wird zur Metapher, zum Bild für diesen Sound: ein gewaltiges Naturereignis, gemacht von Menschenhand. Steve Morse, der seit dem wohl endgültigen Ausstieg von Gitarristen-Gott Ritchie Blackmore die Saiten schlägt, spielt das berühmte Riff nicht geradeaus, sondern zerdehnt es ein wenig, spielt es dreckiger, reizvoll unsauber. Wie er auch den anderen Standards immer wieder seinen Stempel aufdrückt und sie so ganz frisch aus den 70ern ins 21. Jahrhundert hinüberspielt. Bevor das berühmte Riff erklingt, verblüfft Morse mit einer kleinen Parade der Rock-Klassiker von anderen Bands: "House of the Rising Sun", "Sweet Home Alabama", "Honky Tonk Woman". Was soviel heißen soll wie: "Leute, wir sind nicht die einzigen, die Monster-Riffs geschrieben haben." Oder: Auf dem Olymp ist es nicht einsam. Zu diesem Zeitpunkt des Konzerts waren die Olympier längst warmgelaufen. Das Eröffnungsstück "Woman from Tokyo" haben die fünf schlichtweg verwachst. "Ted the Mechanic", das jüngste Stück im Programm, ging schon besser, "Mary Long" war dann der erste Höhepunkt. Das epische Stück von 1973 gehört nicht gerade zum Bekanntesten, was die Band zu bieten hat. Dass sie es ausgraben kann und dafür auch noch gefeiert wird, zeigt, welch große Kluft herrscht zwischen einem Pop-Geschäft, das einen Hit nach dem anderen verheizt, und den wirklich Großen des Rock, die kurz in die Kiste greifen, um neue alte Live-Knaller hervorzuzaubern. Wie an diesem Abend auch "Fools" und "No One Came". Im letzten Stück vor den Zugaben dann noch einmal die ganze Essenz von Deep Purple: "Speed King" wurde einst missverstanden als Hymne auf Amphetamine. Dabei beschwört der Song eher die Kraft des neuen Sounds, den Deep Purple gefunden hatte. Und der wirkt wie eine Droge. Deshalb auch sind hier die Solo-Auftritte der Bandmitglieder bestens platziert: Dan Airey, der für den am Knie operierten Keyboarder John Lord einsprang, konnte zum ersten und letzten Mal an diesem Abend glänzen. Roger Glover zeigte ein gewitztes Bass-Solo, und Schlagzeug-Professor Ian Paice trommelte selbst mit einer Hand so, als hätte er vier. Glänzend das Duett, oder besser das Duell, zwischen Sänger Ian Gillan und Steve Morse, der die Gesangsphrasen Gillans auf der Gitarre nachäffte: Es sind jene kalkulierten musikalischen Exzesse, mit der sich diese Band in den Olymp spielte. Wie heißt es in "Smoke on the Water"?: "Egal, wie wir da rauskommen, ich weiß, wir werden es niemals vergessen".
Sent in by Gerd Ströming
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